„Es stellt niemand mehr die EU in Zweifel“ (2024)

EU-Haushaltskommissar Hahn im Interview

„Es stellt niemand mehr die EU in Zweifel“

„Es stellt niemand mehr die EU in Zweifel“ (1)

Johannes Hahn ist EU-Kommissar für Haushalt und Verwaltung.

Quelle: Olivier Matthys/AP Pool/dpa

Von Corona bis zu Russlands Krieg in der Ukraine: Laut EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn haben die jüngsten Krisen zu einer verstärkten Kooperation innerhalb der EU geführt. Die Gefahr einer Spaltung sieht er nicht – und er spricht sich für Fracking in Europa aus.

Herr Johannes Hahn, wie beurteilen Sie die Lage nach den neuerlichen Einschränkungen der Gaslieferung und Putins Tricks Europa gegenüber?

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Das ist nicht wirklich überraschend. Deshalb haben wir ja als EU-Kommission in der vergangenen Woche schon unser Energiesparpaket vorgeschlagen. Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass wir unsere Gasproblematik eher gelöst haben werden, als Putin neue Gaskunden gefunden hat. Letztlich schadet damit Putins Krieg seinem Land mehr als der EU.

Sehen Sie denn nicht auch eine Spaltungsgefahr der EU, weil jedes Land doch lieber seine eigenen Interessen vertritt.

Natürlich haben wir nationalistische Tendenzen. Aber die jüngsten Krisen von der Corona-Pandemie bis zum Ukraine-Krieg haben zu einer verstärkten Kooperation geführt. Diese Vertiefung der Zusammenarbeit wird nicht weggehen. Die Mitgliedsstaaten haben erkannt, dass sie zusammen besser dastehen als alleine. Das sehen sie bei dem gemeinsamen Einkauf von Impfstoffen gegen Corona genauso wie beim Gas. Diese Kooperation und Kompromissfähigkeit zugunsten einer gemeinsamen Lösung wurde mit dem Beschluss des EU-Energieministerrates eindrucksvoll bestätigt. Die EU ist als Markt mit 450 Millionen Einwohnern der mit Abstand attraktivste Markt der Welt, der eine große Macht darstellt.

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Die EU wird durch die Krisen eher gestärkt?

Das kann ich so sagen. Weil in der Krise das Zusammenstehen dazu führt, dass man die Probleme überwinden kann. Schauen wir uns unsere Bevölkerung und unsere Wirtschaftsleistung an. Es ist erstaunlich, dass wir mit 5, 6 Prozent der Weltbevölkerung immer noch unter den Top 3 der Wirtschaftsmächte sind.

Aber die nationalen Regierungen sehen doch immer zuerst die eigenen Interessen. Ist die Gemeinsamkeit Europas so weit fortgeschritten, dass der Zusammenhalt dauerhaft trägt?

Ich halte hier in Paderborn auf dem Liborifest eine Rede zum Thema „Wie geht es mit Europa weiter?“. Ein paar Krisen vorher wäre die Frage noch gewesen: Wird Europa daran scheitern? Heute haben wir die Frage: Wie lösen wir das Problem? Es stellt niemand mehr Europa und die EU in Zweifel.

Habeck zu Gassparplan: „Europa lässt sich nicht spalten“
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Kurz vor dem Sondertreffen der EU-Energieminister an diesem Dienstag kündigt Russland eine weitere Drosselung der Gaslieferungen über Nord Stream 1 an.

Quelle: dpa

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Für die um sich greifende Verzagtheit sehen Sie also keinen Anlass?

Nein, wo sehen Sie diese Verzagtheit?

Die Menschen haben Angst davor, im Winter in kalten Wohnungen zu sitzen, die Gasrechnung nicht mehr bezahlen zu können, andere Produkte werden aufgrund der Inflation ebenfalls teurer und insgesamt droht Wohlstandsverlust.

Natürlich stehen wir vor Herausforderungen, wir müssen sie annehmen und können sie dann bewältigen. Gemeinsames Handeln führt dazu, Probleme zu überwinden. Die gemeinsame erfolgreiche Bekämpfung der Corona-Pandemie ist dafür ein gutes Beispiel. Das heißt nicht, dass wir alles auf europäischer Ebene regeln müssen.

„Es stellt niemand mehr die EU in Zweifel“ (6)

Es bröckelt hinter Putins Kulissen

Die westlichen Sanktionen wirken nur allmählich, aber sie treffen Russland inzwischen hier und da bereits schmerzhaft – und mit langfristigen Folgen. Noch allerdings simuliert Staatschef Wladimir Putin so gut es geht Normalität: Mit Geld aus dem Gas- und Ölverkauf verschleiert er die wachsenden Probleme.

Wo sehen Sie die konkreten Herausforderungen?

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Die Stärke Europas ist, dass man letztlich immer einen gemeinsamen Weg findet. Wir dürfen uns aber nichts vormachen, dieser und der nächste Winter werden schwierig. Denn auch die Infrastruktur ist nicht darauf ausgerichtet, von anderer Seite Ersatz für ausbleibendes russisches Gas zu bekommen. Das muss jetzt in Windeseile aufgebaut werden. Und die hohen Energiepreise sowie die allgemeine Inflation sind zu bewältigen, zusätzlich zum Krieg und zum Wiederaufbau der Ukraine, wenn wir an einem Strang ziehen.

Das ist doch noch nicht alles.

Da geht es um den viel geschmähten Wohlfahrtsstaat, eine Errungenschaft unseres europäischen Gesellschaftssystems. Wir müssen stärker die Fähigkeit entwickeln, nicht mit der Gießkanne zu helfen, sondern denen, die wirklich ein Problem haben, die Strom- und Gasrechnung zu bezahlen. Auch wenn es viele gibt, die sich zwar über die hohen Rechnungen ärgern, sie aber bezahlen können. Wir müssen denen helfen, die es brauchen, denn damit helfen wir uns allen gemeinsam. So reduzieren wir soziale Spannungen in der Gesellschaft.

Menschen außerhalb Europas schätzen unser Lebensmodell mehr, als wir es selbst tun.

Ist Europa dazu in der Lage?

Es ist ja schon bemerkenswert, was unser Gesellschaftssystem zu leisten in der Lage ist. In dem Stress der Impfstoffentwicklung hat der Wettbewerb dazu geführt, dass die Impfstoffe, die wir auf den Markt gebracht haben, wesentlich effektiver sind als der chinesische und der russische Impfstoff. Das zeigt die Stärke unserer Gesellschaft. Mir ist zum Beispiel auch keine Migrationsbewegung nach China bekannt, aber eine ständige nach Europa. Menschen außerhalb Europas schätzen unser Lebensmodell mehr, als wir es selbst tun. Der Krieg in der Ukraine ist für uns deshalb ein Weckruf, dass nicht alles für die Ewigkeit gilt und selbstverständlich ist. Wir müssen uns dafür einsetzen.

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Sie haben absolute Gedankenfreiheit bei der Frage der Energieerzeugung verlangt. Was bedeutet das? Rückkehr zur Atomenergie?

Es ging mir dabei um die Frage, ob man nicht doch mit Fracking Energie gewinnen könnte. Auch in Europa selbst. In einer Situation, in der es darum geht, nicht von einer Abhängigkeit in die nächste zu kommen, ist es richtig, darüber nachzudenken, wie viele und welche Möglichkeiten es gibt. Wir sollten uns alles anschauen und uns Technologieoffenheit bewahren. Denn wissenschaftlicher Fortschritt kann ja in der Zukunft noch zu anderen Lösungen führen.

Das gilt auch für Atomtechnologie?

Als Österreicher habe ich da eine extreme Skepsis, was Sicherheit und auch was Wirtschaftlichkeit betrifft. Es gibt Ewigkeitskosten, die von der Gemeinschaft getragen werden und die sich nicht in den Preisen niederschlagen.

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